Skip to main content

Die Show auf dem Damenklo

Das erste Jahr in der Hauptschule plätscherte schnell vorbei und ich konnte mich gut einfügen.

Der Pausenhof lag jetzt von den Grundschülern getrennt auf der Rückseite der Häuser, so richtig mit allem drum und dran. Die Großen führten noch schwerere Kämpfe um ihr Territorium und verabredeten sich zu regelrechten Schlachten nach der Schule auf dem Gelände des naheliegenden Kohlenhändlers und es gab eine inoffizielle Raucherecke. 

Rauchen war in den 1970er Jahren das A und O in der Gesellschaft, aber auch wirklich jeder qualmte wie ein Schlot. Es war überall erlaubt, sogar in Bus und Bahn durften die Glimmstängel entfacht werden. Wer nicht qualmte, war uncool.

Da die Siebtklässler nicht viel Geld hatten, dauernd Sargnägel zu kaufen, wurden die von den Großen geschnorrt oder irgendjemand hat sie zu Hause bei den Eltern geklaut und mitgebracht. So war es normal, wenn so eine Ziggi durch 5 Münder ging. Auch auf den Klos wurde heimlich gepafft, was mir eines Tages schwer zum Verhängnis werden sollte.

Nicht, dass ich beim Rauchen erwischt wurde - nein, nein, ich habe jemanden erwischt.

Aber von vorne. 

Es häufte sich, dass einige, meist bei schlechtem Wetter, während der großen Pausen sich auf den Klos versteckten und dort qualmten. Die Lehrer kamen auf die glorreiche Idee, Schüler zu suchen, die, bevor sie selber auf den Hof gehen, sämtliche Klos nach rauchenden Übeltätern durchsuchen, diese aus den Toilettenkabinen verbannen und notfalls melden sollten.

Da ich der kleine Korpulente mit dem etwas kräftigeren Durchsetzungsvermögen und einer Brille war, meldete auch ich mich für diesen Job. Ich wusste genau, dass aus der 9. und 10., die mir hätten gefährlich werden können, es nicht nötig hatten, sich zu verstecken.


Eines Tages traf ich drei weibliche Schüler aus der 8. in einer der Mädchentoilette (natürlich am Qualmen) und machte ihnen so auf meine forsche Art klar – RAUS HIER – so weit, so gut und ich schenkte dem Vorfall keinerlei weitere Beachtung. Kam halt schon öfter vor und ich schaffte es immer, ohne größere Zwischenfälle die Mitschüler zu überzeugen.

Eines dieser Mädchen fühlte sich jedoch von mir bedroht und erzählte es ihrem Freund. Dumm nur (was ich nicht wusste), dass der Freund schon älter war und Mitglied einer Weddinger Rockergang. 


Gut zwei Wochen später, als ich die Show im Damenklo längst vergessen hatte, bahnte sich da was an in der Schule. So ab Mittag wurde es total unruhig unter den Schülern und Lehrern, weil die Kollegen aus der Grundschule fremde, aber sehr auffällige männliche Personen mit längeren Haaren auf dem Schulhof der Grundschule sich herumtreiben sahen, die jemanden suchten. Draußen vor der Schule schien es auch Tumult zu geben, sodass beide Rektoren der Schulen allen Schülern verboten, die Schulen zu verlassen, und schau einer an, ich wurde zum Sekretariat gerufen. Einige Schüler tuschelten schon ganz komisch in der letzten Pause und äugten zu mir rüber, wobei ich mir nichts dachte.

Im Sekretariat warteten schon die Rektoren und siehe an, das Mädchen, das ich zwei Wochen zuvor aus der Mädchentoilette holte. Die Lehrer waren echt stinkig, weil sie Wind von der gerade laufenden Aktion bekommen hatten. Die qualmende Gute hatte doch tatsächlich ihre Rockerkumpels gegen mich aufgewiegelt und so stand der ganze MC vor der Schule, um mich angeblich zu verprügeln. 

Eigentlich wussten die Lehrer ja von dem Vorfall in der Toilette nichts. Jetzt musste aber die Dame erklären, warum die ganze Show da draußen laufen sollte. Ich selber hatte es ja niemandem erzählt, warum auch.

Jedenfalls drohte der Lehrer mit einer Klage, wenn mir auf dem Schulgelände was passieren sollte und das Mädchen antwortete ganz frech: „Dann eben vor der Schule auf der Straße“. 

Alle waren entsetzt. 

Von Einsicht war nichts zu vernehmen. Die Drohgebärden der Rocker gegenüber den Lehrern und den Eltern, die ihre Kinder abholen wollten, wurden immer beängstigender. So blieb den beiden Rektoren nichts anderes übrig, als die Polizei zu alarmieren.


Ich wurde doch tatsächlich unter Polizeischutz aus der Schule gebracht.

Die Polizei hatte sich dafür was ganz Besonderes einfallen lassen: Alle Kinder beider Schulen mussten zur gleichen Zeit auf Anweisung die Schulen verlassen, sodass ich mitten unter der Masse an Schülern fast unerkannt zur Straße kam. Bis auf das Mädchen, das das ganze Drama angezettelt hat. Sie durfte im Sekretariat mit den Rektoren und einem Polizisten erstmal verweilen.


Auf der Straße war die Hölle los; alles war voller Polizei und ca. 30 Rockern, vereinzelt mit ihren Motorrädern. Durch die beiden Beamten, die mich begleiteten, bemerkten die Rocker, die mich ja nie zuvor gesehen hatten, erst jetzt, dass es sich um mich kleines bebrilltes Würstchen drehte. 

Es war deutlich zu merken, dass die Heldin der Geschichte ihren starken Freunden genau das verschwiegen hatte. Einige lachten lauthals, andere pöbelten mich aggressiv an und die anderen waren entsetzt über das lächerliche Szenario, was sie mit ihren Kumpels wegen eines 13-Jährigen gerade angezettelt hatten und brüllten ihre eigenen Leute an. 

Für mich begann jetzt das Spießrutenlaufen. Begleitet von zwei Polizeifahrzeugen musste ich die restlichen 130 Meter mit den anderen Schülern durch die verstreute Rockerbande bis zu unserer Wohnung laufen, wo Fritz und Emma schon bestens von der Polizei informiert auf mich warteten.

Lustig fand ich den Plan der Beamten nicht gerade, aber er passte voll in die damalige Mentalität der Menschen -„Nur keine Panik und/oder Angst zeigen“- Ohne den damaligen bereits angesprochenen Wertekodex, der auch unter den meisten Kontrahenten strikt eingehalten wurde, wäre sowas total nach hinten losgegangen.


In den darauffolgenden Tagen ergriff meine Lieblingslehrkraft Christa S. die Initiative, um die Wogen zu glätten. Sie bat das Mädchen und mich zu einem Krisengespräch, wobei sie den ganzen Fall nochmals aufrollte und ihr klarmachte, dass ihre Reaktion auf das Geschehen total überzogen war und sie jetzt die Staatsanwälte am Hacken hat. Durch ihre Niedertracht hatte sie sich ins eigene Knie geschossen, zumal eigentlich niemand von der Ausgangssituation in der Damentoilette wusste.

Danach wuchs langsam Gras über die Geschichte und ich hielt mich erstmal für die nächsten paar Wochen vorsichtshalber nur in unserer kleinen Straße an der Panke auf.

Nach oben